Was wirkt bei Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten?

Gibt man Lese-Rechtschreibförderung in die Google Suchleiste ein, kommen 2.330.000 Ergebnisse. Das zeigt wie viel über dieses Thema bereits nachgedacht und geschrieben wurde. Auch auf Seiten der Wissenschaft wurde bereits viel zu diesem Thema geforscht. Zur Förderung von Kindern mit Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben wurden außerordentlich viele Förderansätze und Therapiematerialien entwickelt, die sich teilweise sehr stark voneinander unterscheiden.

Es war Teil meiner Doktorarbeit herauszufinden, welche Maßnahmen und Materialien jetzt tatsächlich am stärksten die Lese- und Rechtschreibleistungen verbessern können. Es zeigte sich (die Publikation ist hier verlinkt), dass jene Methoden am wirksamsten sind, die direkt an den spezifischen Anzeichen und Schwierigkeiten ansetzen.

Bevor eine Förderung beginnen kann, muss deshalb sehr genau überprüft werden, in welchen Teilbereichen des Lesens und Schreibens tatsächlich Schwierigkeiten zu erkennen sind. Macht ein Kind beispielsweise viele Lesefehler, muss die Verbindung zwischen Buchstaben (bzw. Buchstabengruppen) und Lauten noch dezidiert wiederholt und automatisiert werden. Wird sehr langsam gelesen, zeigen sich Fördermaterialien wirksam, in welchen Wörter in Teile (wie zum Beispiel Silben oder Morpheme) zerlegt, Wörtern zusammengefügt und zusammenhängend gelesen werden müssen. Beim Rechtschreiben wird zunächst sichergestellt, ob die Kinder bereits die Zuordnung von Lauten zu Buchstaben (bzw. Buchstabengruppen) beherrschen. Falls nicht, wird die Laut-Buchstabe-Verbindung trainiert. Ist diese Kompetenz vorhanden, wird die Rechtschreibfähigkeit effektiv durch Rechtschreibregeltrainings, die orthographische und morphologische Gesetzmäßigkeiten vermitteln, gefördert. 

Folgende Fördermethoden sind hoch umstritten:

Auditive, visuelle und audiovisuelle Verarbeitungs- und Wahrnehmungstrainings beziehen sich auf Untersuchungen, die Defizite bei Kindern und Jugendlichen mit Lese- und/oder Rechtschreibstörung in der Verarbeitung, Unterscheidung und Identifikation kurz oder schnell nacheinander präsentierter auditiver bzw. visueller Reize belegen. Durch die Förderung der Tonhöhen-, Lautstärken-, Rhythmus- und Tonsequenzdifferenzierung sowie der visuellen Differenzierungsfähigkeit, Blicksteuerung oderAugenmotorik sollen die Schwächen in der auditiven und visuellen Reizwahrnehmung und -verarbeitung beseitigt und eine Verbesserung des Lesens und Rechtschreibens erwirkt werden. Jedoch gibt es für diese Interventionen keine belegte Wirksamkeit hinsichtlich einer Verbesserung der Lese- und / oder Rechtschreibfähigkeiten. Ganz im Gegenteil, es ist mittlerweile oft genug belegt worden, dass diese Verfahren NICHT wirken und NICHT eingesetzt werden sollen.

Hemisphärenstimulationstrainings basieren auf einem umstrittenen theoretischen Model welches die rechte zerebrale Hemisphäre für das lautierende Lesen und die linke zerebrale Hemisphäre für die automatische Worterkennung verantwortlich sieht. Je nachdem in welchem dieser Bereiche Betroffene Defizite aufweisen, werden demnach Dysfunktionalitäten entweder in der rechten oder linken Hemisphäre bzw. auch eine mangelnde Vernetzung der Hemisphären vermutet. Diese werden durch tachistoskopische Präsentationen von Stimuli oder spezifische Textgestaltungen stimuliert. Zu dem umstrittenen theoretischen Konzept und den fragwürdigen diagnostischen Methoden ist die Wirksamkeit dieser Trainings nicht nachgewiesen.

Prismen-Brillen werden von den Berufsverbänden der Augenärzt:innen zur Therapie bei Lese- und / oder Rechtschreibschwierigkeiten abgelehnt. Eine Prismenkorrektion wird bei latentem Schielen (Heterophorie) eingesetzt, was sich nicht überzufällig häufig bei Kindern- und Jugendlichen mit Leseschwierigkeiten zeigt. Latentes Schielen erklärt auch nicht die charakteristischen Schwierigkeiten der Lese- und / oder Rechtschreibstörung. Vom latenten Schielen zu unterscheiden ist die sogenannte Winkelfehlsichtigkeit, deren Konzept wissenschaftlich nicht anerkannt ist. Die „Winkelfehlsichtigkeit“ entsteht erst durch Bedingungen der Mess- und Korrektionsmethodik nach Haase. Der Einsatz von Prismen Brillen bei LEse-Rechtschreibschwierigkeiten (ohne Heterophorie) ist hoch umstritten und es gibt keine Studien, die eine Verbesserung schriftsprachlicher Leistungen bei Kindern und Jugendlichen mit Lese- Rechtschreibschwierigkeiten durch Prismenbrillen belegen würden.

Für den Einsatz alternativmedizinischer Verfahren (Homöopathie, Bachblüten, Kinesiologie etc.) oder von Nahrungsergänzungsmitteln gibt es ebenfalls keine empirische Grundlage.

Bitte beachten Sie bei der Auswahl einer Lerntherapie für Ihr Kind: Jeder, der auditive, visuelle und audiovisuelle Verarbeitungs- und Wahrnehmungstrainings, Hemisphärenstimulationstrainings, Prismen-Brillen und alternativmedizinische Verfahren bewirbt und damit vielleicht sogar eine “Heilung” verspricht, ist kein seriöser Anbieter!

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